Das Schicksal der Anne Frank und die Berührungspunkte zu Euskirchen
Rede von Hans-Dieter Arntz anlässlich der Anne-Frank-Ausstellung im Gymnasium Marienschule Euskirchen

von Hans-Dieter Arntz
19.04.2007

Ihr Name und ihr Tagebuch sind seit Jahrzehnten jedem deutschen Schüler wohlbekannt: Anne Frank, das jüdische Mädchen, das sich bis 1944  in Amsterdam versteckte und schließlich trotz aller Mühen doch mit ihrer Familie entdeckt und ins Konzentrationslager deportiert wurde. Anne Franks Biographie steht beispielhaft für die Lebensgeschichten unzähliger Jüdinnen und Juden, die durch die Nationalsozialisten verfolgt und getötet wurden.

Unter der Überschrift „Die Welt der Anne Frank 1929–1945“ war die berühmte Wanderausstellung der Anne-Frank-Stiftung, Amsterdam, in der Zeit vom 25.8. bis 19.9.1993  in Euskirchen zu Gast. Dies wurde mit Unterstützung des Kultusministers des Landes Nordrhein-Westfalen, in Zusammenarbeit mit dem Kultursekretariat NRW in Gütersloh, ermöglicht. In der Aula des Gymnasiums Marienschule fand am 24. August 1993 die Eröffnung statt, zu der Bürgermeister Dr. Wolf Bauer, MdB, eingeladen hatte. Besonders Schüler, die die Ausstellung besuchten, sollten so zum Nachdenken über zunehmenden Ausländerhass angeregt werden. Dies erhoffte sich jedenfalls Euskirchens stellvertretender Bürgermeister Willi Maurer bei der offiziellen Eröffnung und den einleitenden Worten.

Der Ergänzung halber sei darauf hingewiesen, dass zurzeit in Köln die Ausstellung „Anne Frank – Ein Mädchen aus Deutschland“ zu sehen ist, die am Montag, dem 23. April 2007, im NS-Dokumentationszentrum, Appellhofplatz 23-25, um 19 Uhr eröffnet wird.

In der Rede des Regionalhistorikers Hans-Dieter Arntz, Oberstudienrat am Gymnasium Marieschule, wurde deutlich, dass das Schicksal der Anne Frank Berührungspunkte zur Kreisstadt Euskirchen hat. Insofern bekam die Anne-Frank-Ausstellung einen unerwartet neuen Schwerpunkt.

 

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Da ist zuerst die Parallelität zwischen Anne Frank und dem jüdischen Mädchen Ilse Rolef aus Euskirchen. Beide wurden 1929 geboren, beide lebten in Amsterdam, beide kamen im Holocaust um. Während Ilse Rolef in Auschwitz ums Leben kam, gelangte Anne Frank später von diesem Vernichtungslager aus nach Bergen-Belsen.

Das jüdische „Sternlager“ dort wurde von dem heute legendären Judenältesten Joseph („Jupp“) Weiss organisatorisch „geleitet“, was unter der mörderischen deutschen Kommandantur täglich ein Spiel zwischen Leben und Tod war. Während andere Judenältesten (Leiter) nach dem Kriege der Kollaboration mit den Nationalsozialisten überführt wurden, lobte man den aus Euskirchen-Flamersheim stammenden  Joseph Weiss (1893–1976)  wegen seiner vorbildlichen philanthropischen Haltung. (Vgl. Hans-Dieter Arntz: „Joseph („Jupp“) Weiss aus Flamersheim, der Judenälteste von Bergen-Belsen“ sowie auch www.shoa.de.

Die Söhne von „Jupp“ Weiss bestätigten im Jahre 1984 dem Regionalhistoriker Hans-Dieter Arntz  während eines Interviews in Jerusalem, dass ihr berühmte Vater auch die Namen Margot und Anne Frank in seiner „internen Liste“ als Tote vermerkt hätte.

 

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Eröffnungs-Ansprache von Hans-Dieter Arntz anlässlich der
Anne-Frank-Ausstellung in Euskirchen am 24. August 1993:

 

Sehr geehrte Damen und Herren!

Zurzeit kann man wieder erkennen, dass Rassismus und Ausländerfeindlichkeit nicht nur Kennzeichen des Nationalsozialismus waren. Im Gefolge politischer und sozialer Probleme entstehen wieder Vorurteile und Handlungen, die uns lawinenartig überkommen können, wenn man sie nicht rechtzeitig bekämpft.

Aufklärung ist eine der vielen Maßnahmen, um dieses Ziel zu erreichen! Insofern ist die Anne-Frank-Ausstellung, die ein internationales Projekt der Anne-Frank-Stiftung, Amsterdam, ist und in den nächsten 5 Jahren in ganz Nordrhein-Westfalen zu sehen sein wird, eine Möglichkeit, an einem konkreten Beispiel zu zeigen, wohin es kommen kann, wenn nicht Aufklärung und Widerstand gegen Diskriminierung beim ersten Anzeichen beginnen.

Darüber hinaus wirkt der Name ANNE FRANK in aller Welt wie ein Magnet, denn das Tagebuch dieses jüdischen Mädchens dürfte den meisten der heutigen Besucher bekannt sein.

Diesem allseitigen Interesse trägt die Ausstellung Rechnung. Das Schicksal der Familie Frank wird in die politische Situation des Nationalsozialismus eingebettet, so dass die diesbezüglichen Fotos den eigentlichen Hintergrund zu einer jüdischen Familiengeschichte und zum ab Juni 1942 geführten Tagebuch der Anne Frank bilden.

Die ersten Bilder gehören eigentlich zum Familienalbum. Sie zeigen z. B. die Jugend von Otto Frank, seine Militärzeit, die Hochzeit mit Edith Holländer, die Geburt der Töchter Margot (1925) und ANNE FRANK  im Jahre 1929 (…).

Seit dem Mittelalter ist Frankfurt, die Heimat der Familie Frank, ein wichtiges Handelszentrum. Nach dem 1.Weltkrieg ist sie die flächenmäßig größte Stadt Deutschlands.   1929, im Geburtsjahr von Anne, lebten hier etwa 540.000 Menschen.

Obwohl hier das geistig-politische Klima demokratisch und progressiv ist, entwickelt sich das ökonomische, soziale und politische Klima ähnlich wie in anderen Teilen Deutschlands. Die nächsten Fotos konstatieren: die Weltwirtschaftskrise, die große Arbeitslosigkeit und den Aufstieg der Nationalsozialisten. Bereits am Ende der Weimarer Republik glauben viele der Nazi-Propaganda, die die Juden als Schuldige und Sündenbock sehen. Wie oft hat es das schon gegeben!!

Nach der so genannten Machtergreifung am 30.1. 1933, dem dann folgenden „Ermächtigungsgesetz" sowie der Abschaffung der Demokratie ähnelt das Schicksal der Familie Frank dem aller jüdischen Familien im Deutschen Reich. Das Ziel der Nazis lautet in den ersten Jahren: wirtschaftliche und politische Entrechtung der Juden (…).

Und damit die Distanz zwischen Frankfurt und der kleinen Kreisstadt Euskirchen  nicht zu groß wird, sei angemerkt, dass hier im Prinzip dasselbe geschah wie überall. So war z.B. in Euskirchen Johanna Mayer von der Victoriastraße das erste jüdische Opfer, das an den Schrecken des Boykottages am 1.4.1933 verstarb.

Auch Euskirchener Nazis versperrten den so genannten „arischen“  Kunden den Zugang zu jüdischen Geschäften, diskriminierten diese „Nicht-Arier“ zum Beispiel in der Wilhelmstraße durch Transparente und behinderten auch künftig mit brachialer Gewalt die einheimischen Juden, von denen es damals etwa 250 in Euskirchen gab. Die inzwischen gleichgeschaltete Presse tobte sich in der Lokalausgabe des Westdeutschen-Beobachters aus. Die Redakteure in  der Wilhelmstraßebezeichneten namentlich unsere jüdischen Mitbürger polemisch als:  „Krummnasiges Jüddlein, plattfüßiger Morgenländer, Juden mit quakendem Sarophonmaul.“

Am 12.4.1935 hieß es in unserer Euskirchener Zeitung folgendermaßen:
„Der Jude… ist ein typischer Vertreter seiner Rasse, dem die Nasenspitze beinahe die Unterlippe berührt und dem ein ständiger Knoblauchgestank ständiger Begleiter  ist (…).
Dieser schmutzige Jude... Seine drein glotzenden Kalbsaugen verraten sein Verhalten wie das eines Libanon-Tirolers... Der jüdische Schweinigel (…).“

Interessiert werden Sie, meine Damen und Herren, die Fotos 49-52 betrachten, die die Diskriminierung der Juden sogar durch den Karneval wiedergeben. Aber das gab es nicht nur in Köln, Nürnberg oder Frankfurt; nein, das gab es auch in unserem kleinen Euskirchen.   Was schrieb doch die Presse am 8.Februar 1934 in der Vorschau  zum Euskirchener Karnevalszug?

„In einem der ersten Wagen sehen Sie das weltfremde, oft Ärgernis erregende, fidele, anständige Zigeuner- und Judenvolk mit seinem gewaltigen großen Führer, Zigeunerbaron Topossimtri (…). Sie haben Gelegenheit, eine Auslese edelrassiger Völker zu sehen, zusammengesucht und gefunden in Ägypten, auf dem Balkan, Flatschengitschinich, und sogar im Urwald. Sie sehen ein farbenfrohes, sonnengebräuntes, lachendes, fideles Völkchen, welches seit alter Überlieferung vom Schweiß der arischen Rasse lebt (…).“

Das ist unglaublich!

Überall  hingen auch bei uns Transparente:  „Kauft  nicht  bei   Juden!!“ 

Am  15. April 1935 verbot der Euskirchener Stadtrat die „Niederlassung neuer Juden".

In Frankfurt lebten zur Zeit der so genannten „Machtergreifung" nicht 250 Juden wie in Euskirchen, sondern mehr als 30.000!! Hier wurde der wirtschaftliche Terror bald noch deutlicher. Kein Wunder also, dass die jüdische Familie Frank emigriert und sich im angeblich sicheren Amsterdam niederließ. Hier eröffnete Otto Frank eine Filiale der deutschen Firma Opekta.

Die Fotos 53-l03 der Ausstellung werden Ihnen, meine Damen und Herren, das zeigen, was die jüdische Familie Frank  in Deutschland zurückzulassen glaubte: die Vielfalt des völkischen Versorgungsstaates, den Mord an Behinderten, die Bevölkerungs- und Rassenpolitik, Willfährigkeit der christlichen Kirchen, die Jugend- und Bildungspolitik der Nazis, den Einfluss von Propaganda, Kunst und reichsdeutscher Kultur, Militär und Aufrüstung oder gar die weitere Entrechtung von Juden, Sinti, Roma oder Homosexuellen.

Auch den schrecklichen "Novemberpogrom von 1938", der als „Kristallnacht“  in das Vokabular des Unmenschen einging, brauchten die Franks nicht mehr mitzuerleben. Erst der deutsche Einmarsch in die Niederlande - im Mai 1940 - machte dem ungestörten Leben ein Ende!

Die Fotos 131 ff. beweisen, dass sich spätestens ab Februar 1941 in den Niederlanden die  Verfolgung wiederholte, die im Deutschen Reich den Untergang des Judentums besiegelte. Am 23.Juni 1942 unterrichtete Eichmann das Auswärtige Amt, dass ab Mitte Juli 1942 etwa 40.000 Juden aus den Niederlanden deportiert würden. Gleichzeitig mit dem aus Meckenheim stammenden Juden Fritz Juhl erhielt auch Margot Frank in Amsterdam am 5. Juli 1942 einen so genannten „Aufruf", in dem ihr  - wie auch anderen deutschen, in die Niederlande geflüchteten Juden - befohlen wurde, an „der unter Polizeiaufsicht stehenden Arbeitsbeschaffung in Deutschland teilzunehmen".

Dieser Aufruf forderte auch viele aus Deutschland geflüchtete Juden auf, am 15. Juli 1942 um 1.30 Uhr vor dem Amsterdamer Hauptbahnhof anzutreten. Es folgten die Kontrolle des sehr knapp bemessenen Gepäcks und ein Verbot, Wertpapiere und -gegenstände mitzu­nehmen. Im Schlusswort dieses gefürchteten Aufrufs, der im Auftrage von SS-Hauptsturmführer Wörlein verfasst und von der Zentralstelle für jüdische Auswanderung abgestempelt worden war, hieß es:

„Wenn Sie diesem Aufruf keine Folge leisten, werden Sie sofort mit Maßnahmen der Sicherheitspolizei bestraft. Dieses Schreiben gilt als Reiseerlaubnis und gibt Ihnen gleichzeitig das Recht, den genannten Zug kostenlos zu benützen.“  (!!)

Der aus Meckenheim stammende Fritz Juhl beschloss - wie die Familie Frank -, diesem „Deportationsbefehl" nicht nachzukommen und bald „unterzutauchen". Auch Otto Frank wusste, dass dieses Schreiben für seine älteste Tochter Margot nicht „Arbeitseinsatz", sondern „Deportation in die Vernichtungslager“ bedeutete. Die Familie tauchte sofort unter und fand in dem jetzt berühmten Hinterhaus in der Princengracht 263 bis zum 4. August 1944 Unterschlupf. Aus dem erhalten gebliebenen Tagebüchern von Anne Frank in holländischer Sprache  erfahren wir heute, was bis zu diesem Zeitpunkt geschah.

Anne Frank, das inzwischen weltberühmte jüdische Mädchen, war keine Widerstandskämpferin, kein Märtyrer im üblichen Sinne. Sie war vor dem Juli 1942 -  also vor dem Leben in dem Versteck -, mädchenhaft, flüchtig, ein unbeschwertes Kind.

Und aus besonderem Grunde bitte ich Sie nun, meine Damen und Herren, folgende recht naiv klingende Zeilen anzuhören:

„Jetzt muss ich Euch etwas ganz Interessantes erzählen. Mein Füllfederhalter, den ich von Euch, liebe Mutti und liebes Vatichen, bekommen habe, war kaputt, und jetzt habe ich  von Onkel Alfred und Tante Margot auch einen bekommen. Der ist jetzt auch kaputt, und auf einmal geht der von Euch wieder. Wie findet Ihr das? Prima, he?“

Dieser Vermerk vom Sommer 1941 ist  eigentlich typisch für Anne Frank, meine Damen und Herren. Er passt zu einem plappernden Mädchen wie Anne Frank, denn viele Passagen in ihrem später geführten Tagebuch sind ähnlich.

Aber Sie irren sich!!

Die Mitteilung stammt von einem jüdischen Mädchen, das in unmittelbarer Nähe von Anne Frank wohnte, das fast auf den Tag genauso alt wie Anne Frank war, das die gleichen Sorgen, Probleme, aber auch Freuden hatte.

Dieses Mädchen hieß ILSE ROLEF, geb. am 12.7.1929 in Euskirchen, später wohnhaft  Krugersplein 34, Amsterdam. Mit dem Zwillingsbruder Gert (geb.12.7.1929) und der älteren Schwester Edith (geb.19.4.1926) war sie nach dem Novemberpogrom von den in der Neustraße wohnenden Eltern von Euskirchen  nach Amsterdam zu Verwandten geschickt worden.

Das jüdische Mädchen Ilse Rolef aus Euskirchen war fast auf den Tag so alt wie Anne Frank!

Ihre Schwester Edith Rolef  war fast auf den Tag genauso alt wie MARGOT FRANK. Alle lebten in unmittelbarer Nähe, zur gleichen Zeit in Amsterdam, alle kamen im Holocaust um!

Was für eine Parallele!!

Was für ein Berührungspunkt mit der Kreisstadt Euskirchen!!

Die Briefe von Ilse und Edith Rolef blieben erhalten und befinden sich heute in meinem Besitz. Sie gehören eigentlich in den Tresor des Stadtarchivs.

 

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Das Tagebuch der Anne Frank ist Kulturbesitz der gesamten Welt!

Die Ausstellung, meine Damen und Herren, endet mit dem Hinweis auf das weitere Schicksal  der Familie Frank in Auschwitz und Bergen-Belsen. Doch hier könnten noch detailliertere Forschungsergebnisse zum Beispiel von Elaine Morgan oder Willy Lindwers, angeführt werden, die anhand mehrerer Augenzeugenberichten nachweisen, was ab dem 4.8.1944 geschah (…).

Lassen Sie mich weiterhin kurz ergänzen (Es folgen Stichwörter, die im Vortrag inhaltlich erweitert wurden):

-     Die Franks kamen nach Westerborg, ein holländisches KZ  in den Niederlanden.
-     Man befürchtete nicht mehr eine Deportation. Paris war gefallen. Jeder Tag konnte Rettung bedeuten. Der Name Auschwitz sagte keinem etwas.
-     Am 3.9.1944 wurde der letzte Transport nach Auschwitz zusammengestellt: 1.019 Menschen, 498 Männer, 442 Frauen und 92 Kinder.
-     Die Alliierten  waren nur 200 km entfernt.
-     Viehwagen, Aggressionen, Hoffnung auf Bombardierung der Eisenbahn und Rettung
-     Nach 3 Tagen (6. September 1944) Ankunft in Auschwitz. Scheinwerfer (…)
-     Selektion durch Dr. Mengele (…)   Jüngere nach rechts(…)
-     549 dieses letzten Transportes, darunter alle Kinder unter 15 Jahren, wurden am gleichen Tage vergast. ANNE FRANK wirkte älter und entging dadurch diesem Schicksal.
-     Bis September 1944 waren bereits 3 Millionen Juden in Auschwitz vergast worden.
-     Margot, Anne und Mutter Edith Frank kamen in den Frauenblock 29. Mutter war sehr um die beiden Töchter besorgt. Selbst der Gang zur Latrine war gefährlich…
-     Selektion bei Krankheit. ANNE FRANK kam in den Krätzeblock. Flecken und Schorf an den Händen. Mutter grub ein Loch, um Brot       durchzureichen.
-     Ende Oktober kündigte sich das Ende des Nazi-Terrors an. Die Russen rückten nähe. Viele Häftlinge wurden evakuiert. Edith Frank blieb im Lager zurück  und starb im Januar 1945 in den Krankenbaracke.
-     Anne und Schwester Margot wurden am 28.Oktober 1944 nach Bergen-Belsen verschickt,    wo sie 2 Tage später ankamen.
-     BERGEN-BELSEN: „Durchgangslager" – „Erholungslager".  „Internierungslager", das für den Austausch  von „besonderen“ Juden vorgesehen war.
-     Situation!!! Hagel, Regen, Zelte, Baracken, Tote…
-     Erklärung von „Sternlager“. Stacheldraht. Anne und Margot waren zum Skelett abgemagert, da Hunger und Typhus herrschte.
(Weiterhin Stichwörter, die in der Rede inhaltlich ausgebaut wurden)
-     Margot und Anne lagen in einer Baracke, an einer Türe im dauernden Durchzug. Sie wurden täglich schwächer. Margot fiel Mitte März tot  vom Bettgestell. ANNE FRANK starb etwa einen Tag später.

 

Meine Damen und Herren!

Ich möchte Sie abschließend auf eine weitere Beziehung zwischen Euskirchen und Anne Frank hinweisen, auf  Momente, in denen sich – zufällig - zwei Menschen begegneten: Da ist auf der einen Seite die verhungernde Anne Frank und auf der anderen Seite Joseph („Jupp“) Weiss, der so genannte „Judenälteste“  von Bergen-Belsen.

In meinem Buch „JUDAICA -Juden in der Voreifel“ habe ich das Leben des aus Euskirchen-Flamersheim stammenden Juden beschrieben, der unter dem Kommando des deutschen Terrors die interne Lagerverwaltung aller Abteilungen unter sich hatte. Er war für die Registratur verantwortlich, er notierte täglich – noch im März 1945, als täglich Hunderte starben, bis schließlich Tausende von ihnen unbeerdigt im KZ Bergen-Belsen herumlagen (…). Dieser Mann half, wo er nur konnte! Im Gegensatz zu vielen jüdischen „Lagerältesten“ wurde er nach dem Holocaust und 2.Weltkrieg nicht beschuldigt, mit den Deutschen kollaboriert zu haben. Viele Überlebende erinnern sich heute noch der ungewöhnlich humanitären Haltung des Euskircheners.

Und da ist noch ein weiteres Ereignis, das Euskirchen in Bezug zu Bergen-Belsen und Anne Frank führt:
Da die Deutschen mit Recht befürchteten, nach dem Kriege zur Verantwortung gezogen zu werden, musste schließlich „Jupp“ Weiss nun nach Genf an das Rote Kreuz schreiben und um 500 Wolldecken und 5000 Lebensmittelpakete bitten. Dieses Schreiben war an einen Dr. Joseph Weiss gerichtet, der damals Leiter des Palästina-Amtes war.

Dieser Mann war ebenfalls in Euskirchen-Flamersheim geboren worden und war ein Cousin des legendären „Jupp“ Weiss.

Die angeforderten Sachen wurden am 20. März 1945  geschickt – einige Tage zu spät für Anne Frank!! (…)

Abschließend, meine geehrten Damen und Herren, möchte ich Sie eindringlich auf den Wert der Ausstellung und des Kataloges hinzuweisen. Erschüttert werden Sie nach dem Besuch der Anne-Frank-Ausstellung feststellen, dass unsere jüngste Vergangenheit immer wieder aufgearbeitet werden muss. Bezüglich unserer deutschen Kultur und der Untaten der Nationalsozialisten muss man den bissigen Worten des Wiener Satirikers  KARL KRAUS beistimmen.

Da heißt es: 
„Wenn die Sonne der Kultur  niedrig steht, werfen selbst Zwerge lange Schatten!“

 

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Linkes Foto: Hans-Dieter Arntz im Gespräch mit dem stellvertretenden Bürgermeister  Willi Maurer (l.) und dem
Beigeordneten der Stadt Euskirchen Dürholt (r.)
Rechtes Foto: Redner Hans-Dieter Arntz anlässlich der Eröffnung der Anne-Frank-Ausstellung
in der Aula des Gymnasiums Marienschule Euskirchen

NACHTRAG

Artikel von Michael Schwarz im Euskirchener Lokalteil der Kölnischen Rundschau am 26. August 1993:

 

(…) Der Name Anne Frank ist heute weltberühmt. Der Grund: Zu ihrem 13. Geburtstag, am 12. Juni 1942, bekam sie ein Tagebuch geschenkt.

Nach ihrem Tod veröffentlichte ihr Vater, Otto Frank, auf Anraten von Freunden das Buch. Das „Tagebuch der Anne Frank“, die Geschichte der Nazi-Greuel aus der Sicht eines jüdischen Mädchens, wurde inzwischen über 20 Millionen mal gedruckt. In der Aula des Gymnasiums Marienschule Euskirchen ist seit Dienstagabend die Ausstellung „Die Welt der Anne Frank“ zu sehen. Eine Ausstellung, so der stellvertretende Bürgermeister Willi Maurer, die „auffordern soll, über  den stärker gewordenen Ausländerhass nachzudenken und dem Treiben der Neonazis entgegenzutreten."

Trauriger Brückenschlag zwischen gestern und heute
Die Ausstellung der in Amster­dam ansässigen Anne-Frank-Stiftung, die mit Unterstützung des Landes und auf Antrag der Euskir­chener Rats-Grünen in die Kreis­stadt kam, versucht den traurigen Brückenschlag zwischen Vergan­genheit und Gegenwart: „ Hätte Anne Frank - zu Lebzeiten ein ganz normales unauffälliges jüdisches Mädchen unter vielen-, auf unsere Hilfe rechnen können?“  Wäre sie un­ser Nachbarskind gewesen?" wird der Besucher im Einleitungstext  des Katalogs gefragt. 

Die Ausstellung zeigt die glückli­che und normale Kindheit der Anne Frank und ihrer drei Jahre älteren Schwester Margot im damaligen Frankfurt am Main, wo nach Berlin die zweitgrößte jüdische Gemein­schaft in Deutschland lebte. Wie ein roter Faden zieht sich das Schicksal der Familie Frank in der Ausstel­lung durch die dunkelsten Kapitel deutscher Geschichte. Die Bilder von Gleichschaltung, Machtergrei­fung, Propagandamaschinerie wechseln ab mit den Darstellungen des Alltagslebens der Familie.

„Diese Ausstellung könnte in vielen an­deren Städten nicht von solcher Be­deutung sein wie für Euskirchen", erklärte Hans-Dieter Arntz, Ober­studienrat und Autor der Bücher „JUDAICA" und „Judenverfolgung und Fluchthilfe im deutsch-belgischen Grenzgebiet" in der Eröff­nungsrede. Denn zwischen ehemali­gen Bürgern Euskirchens und der Familie Frank gibt es Berührungspunkte.

So lebte das jüdische Mädchen Ilse Rolef zusammen mit seinem Zwillingsbruder Gert und der älte­ren Schwester Edith bis zu den No­vemberpogrom 1938  in der Euskir­chener Neustraße, bevor sie vor den Nazis nach Amsterdam flüchteten. „Sie leb­ten dort unmittelbar in der Nähe der Familie Frank", sagt Arntz. Alle kamen im Holocaust um.

Durch Zufall gelangte Hans-Die­ter Arntz  kurz vor seiner Eröffnungsrede an ein Foto, das Edith Ro­lef zeigt. Mit auf dieser Aufnahme ist auch Lena Maurer, Gattin des heutigen Vize-Bürgermeisters, die mit der kleinen Edith dieselbe Klas­se der alten Ostschule (zwischen heutigen Kapuzinern und Bürger­haus) besuchte. In einem Vorgespräch zur Ausstellungseröffnung waren Arntz und Maurer auf das Thema gekommen. Lena Maurer fand das Foto, das um das Jahr 1936 gemacht wurde, in ihren Unterla­gen. Eine andere Person aus dem Raum Euskirchen hatte — zumin­dest indirekt — dazu beigetragen, dass Annes Tagebuch überhaupt veröffentlicht wurde. Es war Joseph („Jupp“) Weiss, ein Jude, der in Flamersheim lebte, bevor auch er ins KZ Bergen-Belsen deportiert wurde. Als „Judenältester“ und Leiter des Sternlagers gingen die Listen mit den Namen der nach Bergen-Belsen Deportierten durch seine Hände. Auch die Todeslisten wurden von ihm persönlich angefertigt.

Tagebuch erst nach eindeutigem Beweis veröffentlicht
Jupp Weiss schrieb diese Namen ab, darunter auch jene von Margot und Anne Frank, die kurz vor Kriegsende im Lager an Typhus gestorben waren. Als einziger in der Familie überlebte Otto Frank, Annes Vater. Aus den von Jupp Weiss erstellten Listenabschriften ging eindeutig hervor, dass seine Kinder im KZ um­gekommen waren. Daraufhin erst veröffent­lichte Otto Frank, der im Januar 1945 von sowjetischen Truppen aus dem Lager Auschwitz befreit wurde und am 3. Juni 1945 nach Amster­dam zurückkehrte, die Tagebücher seiner Tochter Anne.


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Eine Aufforderung zum Nachdenken sehen Willi Maurer (Rednerpult) und
Hans-Dieter Arntz (links) in der Ausstellung »Die Welt der Anne Frank". Foto: Schwarz

 anne-frank03Foto aus dem EUSKIRCHENER WOCHENSPIEGEL von F.-J. Vogt am 1.9.1993

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