Fritz Juhl, ein jüdischer Verfolgter und Widerstandskämpfer aus Meckenheim

von Hans-Dieter Arntz
30.08.2007

Zu den wenigen Widerstandskämpfern gegen den Nationalsozialismus, die im Bereich der Voreifel bekannt wurden, gehört der aus Meckenheim/bei Bonn stammende Fritz Juhl. Auf ihn wies ich in meinen Büchern JUDAICA – Juden in der Voreifel (S.449-451) und Judenverfolgung und Fluchthilfe im deutsch-belgischen Grenzgebiet (700-706) bereits hin. Anlässlich seines 85. Geburtstages verfasste ich für den Bonner General-Anzeiger am 20./21. Februar 1988 einen Zeitungsartikel.  Erneut soll heute an ihn erinnert werden:

Auch der aus Meckenheim stammende Fritz Juhl (geb. 1903) gehörte zu denen, die ihr Leben im Untergrund fristen mussten, um den nationalsozialistischen Häschern zu entgehen. Der geistig ungemein rege Voreifeler war in den letzten Kriegsjahren sogar im Widerstand tätig.

Fritz Juhl wurde am 21. Februar 1903 in Meckenheim geboren, wo er auch seine Jugend verlebte und im jüdischen Glauben er­zogen wurde. Am 15. August 1885 hatte sein Großvater Michael Juhl die bekannte Fruchtgroßhandlung Juhl gegründet. Die Großkaufleute gehörten zu den bekannte­sten Bürgern von Meckenheim. Vater Bene­dict Juhl (1868-1943) war 1892 Mitbegrün­der des Turnvereins und zudem der erste jüdische Stadtrat. Aber auch seine deutsch­nationale Haltung konnte nicht verhindern, dass er mit seiner Frau Lina, geb. Hirsch, 1943 während des Holocaust in Sobibor umkam.

Nach dem Abitur in Rheinbach und einer kaufmännischen Ausbildung war Fritz Juhl im Betrieb der Eltern tätig, als 1935 die Anzeige eines Konkurrenten ihn erstmals mit dem Wirtschaftsboykott der Nationalsozialisten konfrontierte.

Anfangs waren gute Freunde, hilfsbereite Nachbarn, aber auch Bestechungsgelder gute Waffen gegen den Nationalsozialismus. Die Denunziation einer Konkurrenzfirma aus Ringen, Kr. Ahrweiler, die mit einem Schreiben vom 29. Mai 1935 bei der Handels-Gewerbe-Organisation (N. S. Hago) den in der gesamten Voreifel bekannten Fruchthändler wegen „heimtückischen Angriffs auf Staat und Partei" angezeigt hatte, verän­derte das Leben des Meckenheimer Kaufmannes.

Zuerst saß er im Gefängnis des Amtsgerichtes von Ahrweiler, nachdem er am 15. August 1935 - dem Tage des 50jährigen Bestehens der Firma - von der Gestapo verhaftet worden war. Es folgte eine Haftstrafe im Kölner „Klingelpütz", die nur deswegen aufgehoben werden konnte, weil Vater und Bruder wichtige „Parteibonzen" mit einem Betrag von 3 000 RM bestachen. Am 16. Januar 1936 flüchtete Fritz Juhl in die Niederlande, mit einem Koffer und 9,65 RM im Portemonnaie. Er hat es nie verschmerzen können, dass ihm der in Meckenheim zuständige Beamte, der Schulfreund seines Bruders, im Pass den Vermerk „Staatsangehörigkeit: Deutsches Reich" lakonisch durchgestrichen und mit „Voll­jude" ergänzt hatte. Immerhin war die Familie Juhl seit 1759 im Rheinland ansässig! Die legale Auswanderung in die Niederlande fand bald eine schlimme Fortsetzung.

Am 2. August 1941 betrug die jüdische Bevölkerung der Niederlande 140 552 Menschen. Reitlinger recherchierte, dass 110.000 deportiert wurden. Nur etwa 6000 kehrten zurück - mancher stammte wie Fritz Juhl aus der Voreifel. Der prominenteste war wohl Jupp Weiss aus Flamersheim, der „Judenälteste von Bergen-Belsen"1). Etwas weniger als ein Fünftel der Deportierten waren staatenlose jüdische Flüchtlinge.

Nirgends befand sich im Mai 1940 die jüdische Bevölkerung so sehr in der deutschen Umklammerung wie in Holland, da nur sehr wenige außerhalb der drei großen Städte lebten und mehr als 60% von ihnen in Amsterdam zu Hause waren. Jetzt gab es auch keine offene Grenze mehr, die man, wie vor dem Kriege, heimlich überschreiten konnte. Erst nach dem Überwinden von drei schwer bewachten Grenzen hätte man nun einen sicheren neutralen Zufluchtsort erreichen können.

 Im Oktober 1940 wurden jüdische und halbjüdische Firmen in Treuhandverwaltung übernommen. Anfang 1941 schuf man nach osteuropäischem Muster einen Judenrat (Joodse Raad). Zu Beginn des Jahres 1942 wurden Juden aus den Städten entweder in Amsterdam zusammengefasst oder in Torfstechlager gebracht2).

Den ersten Unruhen und einem Generalstreik im Februar 1941 - zugunsten der Juden - folgte eine grausame Verfolgung und Deportation von Juden, aber auch von holländischen Arbeitern, die sich solidarisiert hatten. Reitlinger vermutet, dass der eigentliche Massen­mord an holländischen Juden sich erst wieder im Juli 1942 wiederholte und bis dahin die Verfolgung verlangsamt wurde, weil dies mit den Vorbereitungen für Auschwitz in Übereinstimmung gebracht werden sollte.

Am 23. Juni 1942 unterrichtete Eichmann das Auswärtige Amt, dass ab Mitte Juli 40.000 Juden aus den Niederlanden deportiert würden. Fritz Juhl, der in Amsterdam in der Kr. Mijdrechtstraat 68 auf der 2. Etage lebte, erhielt am Montag, dem 6. Juli 1942, einen „Aufruf", in dem ihm - wie auch etwa 5.000 anderen ehemals deutschen Juden - befohlen wurde, „an der unter Polizeiaufsicht stehenden Arbeitsbeschaffung in Deutschland teilzunehmen"3).

Dieser Aufruf forderte die ehemals deutschen Juden auf, um 1.30 Uhr am 15. Juli 1942 vor dem Amsterdamer Hauptbahnhof anzutreten. Es folgte die Aufzählung des sehr knapp bemessenen Gepäcks und ein Verbot, Wertpapiere und -gegenstände mitzu­nehmen. Im Schlusswort des Aufrufs, der im Auftrage von SS-Hauptsturmführer Wörlein verfasst und von der Zentralstelle für jüdische Auswanderung abgestempelt worden war, hieß es:

„Wenn Sie diesem Aufruf keine Folge leisten, werden Sie mit Maßnahmen der Sicherheitspolizei bestraft. Dieses Schreiben gilt als Reiseerlaubnis und gibt Ihnen gleichzeitig das Recht, den genannten Zug kostenlos zu benützen."4)

Fritz Juhl beschloss, diesem „Deportationsbefehl" nicht nachzukommen und bald „unterzutauchen":

„Am Sonntag, dem 12. Juli 1942, kam mein Kunde und heute sehr lieber Freund, Harry de Graaf aus Leiden, zu mir und forderte mich auf, so schnell wie möglich ,unterzutauchen'. Er sagte zu mir: ,Du musst verschwinden. Du darfst nicht weggehen. Sie werden Euch alle ermorden!'

Bis zum September 1944 hielt er das Versprechen und versorgte mich mit Lebens­mitteln. Er hatte Beziehungen zum Untergrund, ließ meine Papiere fälschen und besorgte mir monatlich die Lebensmittelkarten, die meistens aus Einbrüchen und Diebstählen herrührten. Zudem ließ er das verräterische „J“ vom Personalausweis entfernen, so dass ich Weihnachten 1942 noch mit der Eisenbahn zu meinen hier lebenden Eltern fahren konnte - und sie zum letzten Male in diesem Leben sah.

 

Fritz Juhl 02
Unter dem Dach im Haus Oude Gracht 369, Utrecht, überlebte der aus Meckenheim (Voreifel) stammende Fritz Juhl

 

Am Montag, dem 13. Juli 1942, bin ich nachmittags die 40 km mit dem Fahrrad nach Utrecht geflüchtet, wo ich bei einem weiteren befreundeten Kunden, Hermann Benschop, Malermeister, Oude Gracht 369, Hilfe und Unterschlupf fand.

Als am 17. September 1944 die Schlacht um Arnheim entbrannte und der Pre­mierminister der Exilregierung, Gerbran­dy, von London aus zum großen Eisen­bahnerstreik aufrief, konnte mein Freund Harry de Graaf nicht mehr zu mir kom­men. Im Oktober 1944 erschien plötzlich sein Bruder Maurits, der die 50 km mit dem Fahrrad von Amsterdam zurückge­legt hatte, und fragte im Auftrage von Harry, wie es mir ginge und was ich nötig habe. Ich zeigte ihm wortlos meine in Zeitungspapier eingewickelten Füße und meinte dann: , Noch ein weiterer Winter hier oben und mir frieren die Füße ab. Ich habe keine Socken mehr.'

Zwei Wochen später war Maurits de Graaf wieder da. Insgesamt hatte er 160 km heruntergestrampelt, um mir zwei Paar wollene Socken zu bringen, die man bei der deutschen Wehrmacht gestohlen hatte. Am 26. Februar 1945 war mein Hospes, Hermann Benschop, verhaftet und am 8. März im Fort De Bilt bei Utrecht als Widerstandskämpfer erschossen worden. Er war eine der Geiseln, die wegen des Attentates auf den SS- und Polizeiführer für die besetzten niederländischen Gebiete, SS-Hauptsturmführer Rauter, hingerich­tet wurden.

Danach musste ich flüchten und wurde von der ,Illegalität' auf dem Speicher eines Kunstmalers am Spinozaweg 42 untergebracht, wo ich zuletzt vor lauter Hunger das Stroh aus der Matratze gegessen habe. Am 5. Mai 1945, einem Samstag, schlug die Stunde der Befreiung. Und am 7. Mai, als die Kanadier hier einzogen, läuteten die Freiheitsglocken vom Dom in Utrecht, und die Hakenkreuzfahne verschwand. Dafür flatterte das holländische Rot-Weiß-Blau im Frühlingswind!"5)

Parallel zur Deportierung der in den Niederlanden lebenden Juden verlief eine eigenar­tige „Räumungsaktion" der nun besitzlosen Möbel. Die Speditionsfirma „Püls" hatte von den deutschen Besatzern den Auftrag bekommen, die jüdischen Wohnungen und Häuser zu leeren. Dies geschah seit etwa Juli 1942, und seitdem ist das Verb „pülsen" offiziell in die holländische Sprache eingegangen, wenn man die völlige Entkleidung eines Menschen bezeichnen will6). Von jenem Unternehmen wurden auch Möbel und jeglicher Hausrat auf große Rheinkähne verladen, die dann auf dem Amsterdam-Rhein-Kanal auf den Rhein und in das schwer bombardierte Köln kamen. Hier traf der Besitz bereits deportierter Juden als „Liebesgaben aus Holland" ein. Neben dem Kölner Messeturm deponierte man sie - gemeinsam mit den Möbeln ehemaliger Kölner Juden - in einem Möbellager. Oft konnte man von hier aus ausgebombte Kölner Familien mit Hausrat und einer Wohnungseinrichtung versorgen. Zusätzlich sei hierzu erwähnt, dass c. 2 500 Häftlinge vom Außenkommando des KZ Buchenwald in den Kölner Messe­hallen lebten und zu Aufräumungsarbeiten herangezogen wurden7).

Das Deutsche Reich wollte im Hinblick auf die psychologischen Auswirkungen zunächst die 25 000 staatenlosen Flüchtlinge aus den Niederlanden deportieren. Dennoch wurden sogar eingebürgerte oder hier geborene Juden von den nun folgenden Verhaftungswellen betroffen.

Die Juden, die sich tatsächlich freiwillig auf die „Aufforderungen" hin meldeten, wurden mit der Bahn nach Hooghalen, etwa 150 km von Amsterdam entfernt, nahe der deutschen Grenze gebracht. Sie mussten zu dem holländischen „Drancy" marschie­ren, dem Lager Westerbork, inmitten der Torfsümpfe. Hier hatte seit Januar 1942 ein Flamersheimer in führender Position - gezwungenermaßen - Aufbau­arbeit leisten müssen: Jupp Weiss, der spätere „Judenälteste von Bergen-Belsen“. Wester­bork war einmal ein Lager für jüdische Flüchtlinge, und der Euskirchener Hans Hermann war einer der ersten, der hier nach seiner Flucht - im Anschluss an die „Kristallnacht" - leben musste. Hierhin hatte man auch Juden vom deutschen Dampf­schiff „St. Louis" im Juni 1939 gebracht, nachdem man ihnen nach einer Irrfahrt die Landung in Havanna verweigert hatte. Jetzt wurde Westerbork die Sammelstation für die Gaskammern von Auschwitz. Fritz Juhl konnte diesem Transport, der 5 742 Menschen umfasste, entfliehen. Für die durch Deutschland führende Strecke von 1 200 km brauchten die Eisenbahnzüge 40 Stunden. Beim Eintreffen in der Station Auschwitz fanden direkt Selektionen für die Gaskammern statt.

Da die Bevölkerung der Eifel nicht nur Beziehungen nach Belgien, sondern auch in die Niederlande hat bzw. auch schon damals hatte, war es nicht verwunderlich, dass u. a. auch Julie Kaufmann (1864), die Schwester des aus Hellenthal stammenden Sigmund Kaufmann (geb. 1879), am 19. August 1939 von Euskirchen nach Rotterdam umzog. Im Gegensatz zu den Angaben des Einwohner-Meldeamtes nahm sie wohl den Neffen Kurt Kaufmann (1926) mit, in der Hoffnung, ihm hierdurch eine schreckliche Jugendzeit zu ersparen8). Auch diese Flucht war vergebens. Beide kamen Mitte 1942 nach Westerbork und von dort aus nach Auschwitz. Der Junge starb dort am 25. Juli 1942, die Tante am 26. Januar 1943.

Auch Fritz Juhl, der in Utrecht auf einem Dachboden versteckt war, muss zu denen gezählt werden, die aktiv Widerstand leisteten oder ihn zumindest vorbereiteten. Der Meckenheimer ist somit der einzige der jüdischen Glaubensgemeinschaft in der Eifel, von dem diesbezügliche Aktivitäten bekannt wurden.

Im Hause von Hermann Benschop musste Fritz Juhl täglich 16 Außensendungen des B. B. C. abhören und die Informationen der Résistance weitergeben. Es ging deren Mitgliedern vor allem um „Waffendrupping", das an einer bestimmten Stelle (Lage Weide) zwischen Mitternacht und 1 Uhr durch die Royal Air Force stattfand, wenn das Codewort „Is grote Francois nog in de stad?" durchkam (d.h. „Ist der große Francois noch in der Stadt?"). Außerdem fälschte er unzählige Dokumente mit der Unterschrift des Ortskommandanten von Utrecht, dessen Handschrift „Christmann, Oberleutnant" er nach mehrtägigem Üben naturgetreu nachzuahmen verstand. Über seine Kontakte zum niederländischen Widerstand äußerte sich der Meckenheimer Fritz Juhl folgender­maßen:

„Im frühen Frühjahr 1944 kam mein Hospes, Hermann Benschop S.A., aus der Stadt zurück und berichtete mir, dass die Untergrundbewegung kein Dach mehr über dem Kopf hätte, seitdem der Sicherheitsdienst die Büros ausgeräumt hätte. Er hätte sein eigenes Haus nun als Hauptquartier für den Distrikt Utrecht angeboten.

Und dann entdeckten die Leute mich! Sie wurden angeführt von einem vormaligen Berufsfeldwebel, der den Decknamen ,Bob' trug. Er wurde übrigens am 22. November 1944 bei einer geheimen Sitzung an anderer Stelle gefangen und am 2. Dezember in Apeldoorn mit anderen auf der Straße erschossen. Tagelang mussten die Leichen zur Abschreckung auf der Straße liegen bleiben.

Als die ersten drei Anführer der Widerstandsbewegung in das Haus Oude Gracht 369 kamen und mich auf Anweisung meines Hospes auf dem Speicher besuchten, waren sie heilfroh, endlich einen früheren deutschen Juden, den sie für vertrauens­würdig und zuverlässig hielten, zu entdecken. Besonders waren sie an meiner Handschrift interessiert, die sich ja doch von ausländischen unterschied, weil das Deutsche auch auf diesem Gebiet irgendwie typisch ist.

So bekam ich einen echten, vom Ortskommandanten unterschriebenen Ausweis und mehrere weiße Bögen Papier zum Üben. Schon bald war ich so sicher und ahmte , Christmann, Oberleutnant' so täuschend ähnlich nach, dass wir Original von der Imitation nicht mehr unterscheiden konnten.

So war jetzt nur noch ein Problem zu lösen: Wir benötigten auch einen blauen Kopierstift,  den zu finden  im Jahre   1944  sehr schwierig war.  Aber er wurde nach langem Suchen in einem alten, abgelegenen Schreib­warenladen gefunden. Nun konnte ich Dutzende von Aus­weisen und Papieren unter­schreiben. In meinem Versteck hatte ich auch einen großen Telefunken-Apparat, womit ich täglich 16mal den B. B. C. aus London abhörte, die Nachrich­ten stenographierte und dann mit 6fachem Durchschlag für die Wider­standsbewegung niederschrieb.

Wir erhielten jedoch nicht nur Waffen, sondern auch viele Instruktions­bücher in allen Sprachen, die unsere Attentate bzw. Sabotageakte vorbe­reiten halfen. Von den holländischen Texten musste ich stets Abschriften machen, weil wir nur wenige Exem­plare bekamen. Bald wusste ich, wie man Brisantbomben an Eisenbahn­schienen so anbringen muss, dass aus zwei explodierten Lokomotiven kei­ne mehr zusammenzusetzen war. Auch die Montage von Zeitzündern war mir bekannt.

Eines Tages erschien besagter ,Bob' bei mir unter den Dachpfannen und sagte, dass ich um 20.30 die französische B. B. C.- Sendung anhören müsse. Sollte fünf Minu­ten später unterbrochen werden und eine holländische Fortsetzung stattfinden, sei Vorsicht geboten. Bei dem Codewort ,Is grote Francois nog in de stad?' müsste die Anschrift ,Achter Sint Pieter No. 14' hierüber informiert werden, da draußen auf der ,lage weide' (niedrige Weide) Waffenabwürfe stattfinden würden. Eine Kran­kenschwester vom Akademischen Krankenhaus, die mit den Benschops befreun­det war, saß in ihrer Tracht abends neben mir und überbrachte die wichtige Nachricht, obwohl ja um 20.00 Sperrzeit für jeden war. Es war verabredet für den Fall, dass sie angehalten würde, dass sie jemanden vom Tode eines Sterbenden zu informieren hätte. Die Hinterbliebenen hätten jedoch kein Telefon.

Am nächsten Morgen kamen die Waffen tatsächlich, verpackt in grünbraunen Säcken, alle in mein Versteck. Monatelang lebte ich nun in Angst und Schrecken. Wie die Illegalen die Transporte ausgeführt haben, ist eine Geschichte für sich.

Es war am 26. Februar 1945, mittags gegen 14 Uhr. Ich spülte das Tischgeschirr, als Hermann Benschop zu mir kam und aus einem versteckten Koffer einen Revolver haben wollte. Bei dem kurzen ,Bis nachher' ahnte ich nicht, dass es ein Abschied für immer sein sollte.

 

Fritz Juhl 02

Fritz Juhl, geb. 21.2. 1903 in Meckenheim, Flüchtling und Angehöriger der niederländischen
Widerstandsbewegung, heute wohnhaft in Amsterdam

 

Später hörte ich von seinem Freund, Henk van Bommel, was sich ereignete. Ein Mädchen, das für uns Kurierdienste verrichtete, war zu Benschop gekommen und hatte um Hilfe gebeten, weil die ,Grüne Polizei' (die holländische Nazi-Polizei) sie verhaften wollte. Henk van Bommel und Benschop wollten diese Landesverräter bei ihrem nächsten Verhaftungsversuch abpassen, um sie zusammenzuknallen. Bei diesem Versuch jedoch hatten sie nicht mit dem gefährlichen Polizeihund gerechnet. Die Folge war, dass mein Freund, der mir jahrelang Unterschlupf gewährt hatte, verhaftet wurde, während Bommel glücklicherweise davonkam.

Am 7. März 1945 wurde auf den Höheren SS- und Polizeiführer Rauter auf der Straße zwischen Arnheim und Apeldoorn ein Attentat verübt, bei dem dieser allerdings nur verletzt wurde. Am nächsten Morgen wurden an der gleichen Stelle 117 Geiseln erschossen und in jeder Stadt 17 weitere. Zu denen zählte in Utrecht mein Hospes, Hermann Benschop, 40 Jahre alt, Vater von drei kleinen Kindern.

Mijnheer van Giels, der ,Untertauchhospes' des Euskirchener Rabbiners Ferdinand Bayer, und die Ehefrau des erschossenen Hermann Benschop aus Utrecht erhielten vor einigen Jahren die YAD-VASHEM-MEDAILLE persönlich aus den Händen des damaligen israelischen Außenministers, Jigal Allon. Die Inschrift dieser Auszeich­nung lautet: Wer einen Menschen rettet, der rettet die ganze Welt!

Heute ist in Utrecht eine Straße nach meinem Freund, Hermann Benschop, benannt!"9)

 

Anmerkungen
1.

Vgl. ARNTZ, JUDAICA, Euskirchen 1983, S. 434-446: Jupp Weiss, der Judenälteste von Bergen-Belsen

2.

REITLINGER, Gerhard: Endlösung, 3. durchgesehene und verbesserte Auflage, Colloquium-Verlag, Berlin o. J. S.372 ff.

3.

Diesen „Aufruf" zur „Arbeitsbeschaffung" (Deportation) besitzt im Original nur noch das Reichsinstitut für Kriegsdokumentation in Amsterdam und Herr Fritz Juhl/Amsterdam. Ein Abdruck erfolgte in ARNTZ, JUDAICA a.a.O. Seite 424

4.

Der Aufruf wurde ins Deutsche übersetzt

5.

Schreiben von Fritz Juhl/Amsterdam am 29.10. 1980 und 2.2. 1982

6.

Vgl. hierzu: PRESSER, Jacob, „Ondergang (De vervolging en Verdelging van het nederlandse Jodendom 1940-1945)". IS-Grafenhage Nijhoff 1965, Band 1

7.

Kölnische Rundschau v. 9.12. 1981: „Tafeln genügen nicht!"

8.

Vgl. Judentum in Hellenthal ,in: H.-Dieter Arntz, Judenverfolgung und Fluchthilfe im deutsch-belgischen Grenzgebiet, Euskirchen 1990

9.
 

Schreiben von Fritz Juhl/Amsterdam v. 2.2. 1981 und 7.1. 1982

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