Euskirchen 1902: Geburtsstadt des „Vereins für die jüdischen Interessen des Rheinlandes e.V.“ – Erneute Bezirkstagung im Jahre 1920

von Hans-Dieter Arntz
26.06.2010

Die Tatsache, dass im Jahre 1902 der „Verein für die jüdischen Interessen des Rheinlandes e.V.“ in Euskirchen gegründet wurde, kann vielleicht auch darüber Aufschluss geben, dass die Kreisstadt nicht nur ein jüdisches Zentrum in der Eifel und Voreifel, sondern auch – zumindest im ländlichen Teil – des Rheinlandes war. An entsprechender Stelle wurde dies bereits historisch nachgewiesen. Monatsbeilage zur damals recht bekannten Zeitschrift „Israelit“ war der „Jüdische Volksfreund“, dessen verantwortliche Redaktion der Kölner Dr. Benedict Wolf innehatte. Seine Biographie mit der verdienstvollen Übersetzung der Beschneidungs- und Heiratsbücher stellte der aus Bergeheim stammende Heimatforscher Gerd Friedt 1989 in Form eines Typoskripts dar.

Unter „Nachrichten und Korrespondenzen“ publizierte der „Jüdische Volksfreund“ in seiner Juni-Ausgabe 1920 Einzelheiten über die erste Bezirksversammlung nach dem 1. Weltkrieg. Am 13. Mai 1920 hatte die Nachkriegstagung, an der 150 Männer und Frauen teilnahmen, stattgefunden. Hauptsächlich handelte es sich um jüdische Repräsentanten des gesamten Voreifel- und Eifelgebietes. Ein kleiner Rückblick erinnert an dieses Ereignis vor 90 Jahren:

 

Jüdischer Volksfreund

(...) Der Vorsitzende des Vereins, Herr M.L. Munk, eröffnete die Versammlung mit etwa folgender Ansprache:

„Meine Damen und Herren!
Indem ich hierdurch den Bezirkstag des Vereins für die jüdischen Interessen im Rheinland eröffne, rufe ich Ihnen Allen in altjüdischer Weise ein herzliches Scholaun zu und begrüße ich Sie auf das herzlichste mit verbindlichstem Dank dafür, daß Sie unserer Einladung gefolgt sind und hierher kamen, wo vor 18 Jahren unser Verein gegründet wurde.

Nach den langen Kriegsjahren haben wir jetzt Gott sei Dank den Frieden; hoffen wir, dass derselbe nach innen und außen ein dauernder sein möge. Ein Frieden in dem Nahen und Fernen und wir vor inneren Unruhen befreit bleiben. Während der Kriegsjahre war unser Verein auch nicht lässig, doch mußte seine Tätigkeit sich leider den Kriegsverhältnissen anpassen, während unsere Hauptaufgaben und Ziele zurücktreten mußten.

Nachdem wir nunmehr zu unseren Hauptaufgaben wieder schreiten können, freut es uns, hier in der Geburtsstadt unseres Vereins zum ersten Male wieder einen Bezirkstag abzuhalten und wollen wir wünschen, daß, wie vor 18 Jahren hier die Gründung des Vereins zum Segen für die Judenheit Rheinlands erfolgte, auch jetzt wieder neues jüdisches Leben aus unserer Tagung erblühen wird. In diesem Sinne begrüße ich Sie nochmals auf das Herzlichste.“

Salomon HeilbergHierauf nahm der Lehrer der Synagogengemeinde Euskirchen, Herr Dr.Salomon Heilberg (geb.1871, gest1942 Tilburg/Ar.) , das Wort zu einer formvollendeten Begrüßungsrede, der wir folgende Gedanken entnehmen:

„Es zeugt unleugbar von der Gottesnatur, die im Menschen lebt und wirkt, daß er des Guten, das er geübt, des Edlen, das er vollbracht, sich zu freuen vermag. Diesem edlen Zuge folgend wollen wir den heutigen Tag festlich begehen, an dem wir alle einst von einem Geiste getragen, von einem Gefühle erfüllet, zusammentraten – zum Erreichen großer Ziele. Die Bedeutung des heutigen Tages liegt auch noch auf einer anderen Seite. Es soll nämlich an demselben die hohe Bedeutung unseres Vereins, die Heiligkeit seiner Zwecke uns immer von neuem ins rechte Licht gestellt werden, daß die Begeisterung für die Aufgaben des Vereins in uns eine lebendige wäre, selbst wenn das Leben mit seinem erkaltenden Hauche die Liebe zum Verein zu schwächen oder gar zu ertöten droht.

Denn das materielle Leben mit seinem mannigfachen dringenden Aufgaben zieht den Menschen ach so häufig vom höheren, edlen Streben ab, namentlich in Zeiten, wie die unsere, wo der Kampf um das Leben ein immer schwieriger wird, liegt die Gefahr näher denn je. Darum liegt aber auch gerade in unserer Zeit uns die heilige Verpflichtung mehr denn je ob, mit warmen Worten an die heilige Aufgabe unseres Vereins zu erinnern, zu mahnen, daß der Israelit durch die niederen Forderungen des Lebens, auch wenn sie noch so dringend an uns herantreten, sich nicht von seiner hohen Lebensaufgabe ablenken lassen dürfe. Das Bewußtsein wieder zu wecken, da wo es erloschen, um es wieder zu kräftigen, da wo es geschwächt worden, ist dieses Tages würdige Aufgabe.

Noch sei es mir gestattet, auf eine der hehrsten Aufgaben hinzuweisen, die der Verein jüdischer Interessen sich gestellt hat. Das ist die Sorge für den Religionsunterricht, daß der ehrwürdige Schatz beglückender Lehren, beseligender Wahrheiten, dieses Erbgut der Gemeinde Jakobs der Jugend nicht abhanden komme, die Lehre des Moscheh einst uns geboten hat, übertragen werde dem neu aufwachsenden Geschlechte.“

Dann folgte ein Vortrag des Herrn Rabbiner Dr. Wolf über `Freiheitsgedanken im Judentum´ und daran schloß sich ein in Inhalt und Form gleich glückliches Referat des Herrn Max Cohen über `Jugend und Judentum´ an. Der uns zur Verfügung stehende Raum verbietet uns, die beiden Vorträge auch nur annähernd zu skizzieren.

Nach einem gemütlichen Stündchen ernsten und heiteren Plauderns trennte man sich in dem Gedanken, eine Anregung empfangen zu haben, die zwischenzeitlich bereits praktische Resultate gezeitigt hat durch Einrichtung von Lernkursen für Kinder und Erwachsene unter der Leitung der Herren Siegfried (geb. 1899 Euskirchen/gest. 1954 Los Angeles/Ar.) und Moritz Schweizer (geb. 1900 Euskirchen, gest.1981 Miami/Ar.). Auch andere erfreuliche Erfolge lohnten die Mühe des Tages und werden den Verein aneifern, solche Versammlungen recht zahlreich zu veranstalten.

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