100 Jahre "Kappes-Express" Euskirchen-Bonn

von Hans-Dieter Arntz
(In: Kölner Stadtanzeiger, Lokalteil Euskirchen, v.7./8.Juni 1980)
23.01.2007

Prominenz feierte die Einweihung ohne die Bürger schon 14 Tage vorher
Frauen hatten eigenes Abteil – Zug fuhr in Pferdebus: 22 verletzte Bauern

 

Am 7. Juni 1880 wurde die Eisenbahnstrecke Bonn-Euskirchen in Betrieb genommen. Große Hoffnungen setzte man damals in das Projekt. Nicht erst seit 1864 - dem erstmaligen Anschluss Euskirchens an das Eisenbahnnetz in Richtung Düren –, und seit  1876 - mit der Verbindung zur Domstadt Köln - wussten besonders die wohlhabenden Euskirchener Tuchfabrikanten, wie vorteilhaft eine Bahnstation war. Die wirtschaftliche Lage Euskirchens hatte sich ständig verbessert, der Wohlstand der Bürger stieg. Tuchballen und Uniformstoffe wurden bis nach Südamerika geliefert. Die Zeit für den späteren „Kappes-Express“ nach Bonn war gekommen. Zwei Jahre dauerte der Streckenbau, dann konnte die erste Lok in Richtung Bonn abdampfen. Die Einweihungsfeier hielt sich in Grenzen, denn die Prominenz hatte schon 14 Tage vorher heimlich eine Probefahrt gemacht und die neue Errungenschaft in Kuchenheim begossen. Aber das ist nicht die einzige Anekdote um den „Kappes-Express“, dessen Name, eigentlich bis heute, nur für die landwirtschaftliche Gegend symptomatisch ist.

1880 erhielt die Strecke Düren-Euskirchen nach Osten hin Anschluss an die Hauptbahn Köln-Koblenz-Bonn-Mainz. Man muss sich heute vergegenwärtigen, dass in der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts der wirtschaftliche, kulturelle und gesellschaftliche Verkehr Euskirchens viel stärker nach Bonn als zur Regierungsbezirks-Hauptstadt Köln tendierte. Das lag wohl zum Teil daran, dass Bonn die nächstgelegene größere Stadt und die Entfernung dorthin geringer als nach Köln war.

 

eu-bahnhof
Wohl die älteste Aufnahme des Euskirchener Bahnhofs entstand vermutlich 1880 zur Einweihung der
Bonn-Euskirchener Eisenbahn. Die Fahrgäste warten schon in feierlicher Kleidung.

Husaren

In der Hauptsache waren es doch wohl noch andere Momente, die den Euskirchener Verkehr stark nach Bonn zogen: Euskirchen war dem Bezirkskommando Bonn unterstellt, und viele junge Männer der Kreisstadt dienten bei den Bonner Husaren und später bei dem Bataillon 28er, das in Bonn im Quartier lag. Die Stadt zog zudem durch seine höheren Schulen und die Universität junge Menschen an. Wie auch heute, so hatte schon damals Bonn als Tor zum Rhein und Siebengebirge eine besondere Anziehungskraft. Es war deshalb selbstverständlich, dass sich bald die ersten Stimmen meldeten, die eine Erweiterung des Schienennetzes nach Bonn forderten. Schon am 9. Juni 1873, noch ehe die Verbindung mit Köln hergestellt war, hatte die Rheinische Eisenbahn-Gesellschaft auch die Konzession für den Bau der Eisenbahn von Euskirchen nach Bonn erhalten.

Es dauerte aber noch bis zum 28. März 1878, bis in der Nähe des Exerzierplatzes der Bonner Husaren am Tannenbusch der erste Spatenstich zu der neuen Bahnlinie getan werden konnte. Am 7. Juni 1880 war sie vollendet, aber als so genannte  „Sekundärbahn“. Ferner war die Absicht, mit dieser Bahnlinie eine direkte Verbindung von der belgischen Grenze nach dem Oberrhein – mit einer Abzweigung von der Hauptlinie nach der Ahr – zu schaffen, nicht in Erfüllung gegangen. Beide Mängel enttäuschten die Euskirchener.

Freude in Kuchenheim

Das benachbarte Kuchenheim gab in einer Notiz in der Euskirchener Zeitung vom 28.7. 1875 seiner Hoffnung Ausdruck, dank  eigener pekuniärer Großzügigkeit Bahnstation werden zu können.  In der vergilbten Zeitung ist nachzulesen: “… und können wir zu unserer Freude und zur Freude der nächsten Umgegend mitteilen, dass Kuchenheim die besten Aussichten hat, den zwischen Euskirchen und Rheinbach projektierten Bahnhof zu erhalten."

Am 13. Februar 1879 wurden die Erdarbeiten zwischen Euskirchen und Kuchenheim, zwischen Kottenforst und Witterschlick sowie zwischen Witterschlick und Endenich ausgeschrieben. Der endgültige Bau der Bonn-Euskirchener Eisenbahn hatte begonnen.

Doch die Ernüchterung über die Tatsache, dass die Linie nur einen „Sekundär-Betrieb“ erhalten sollte, aktivierte die Lokalpresse. Am 4. 10. 1879 riefen die Euskirchener Zeitung und benachbarte Blätter zum Protest auf: „… Es wäre nun höchste Zeit, dass die Vertreter der an dieser Bahn liegenden Orte zusammen mit den Industriellen der Städte Bonn, Euskirchen, Rheinbach und Meckenheim beim Ministerium die notwendigen Schritte täten, um dieses der neuen Linie drohende Schicksal, welches sie ganz überflüssig macht, abzuwenden.

 Aus den Akten der Archive geht weiterhin hervor, dass der Bau der Bonn-Euskirchener Eisenbahn keineswegs immer harmonisch verlief. Zwar jubilierte Kuchenheim am 21. 6. 1879 in der Lokalpresse, dass die Arbeiten zur Anlage des Bahnhofe bereits begonnen hätten und die Eisenbahn das Aufblühen der heimischen Industrie beeinflussen   würde; doch gleichzeitig führte die Rheinische Eisenbahn einen erbitterten Prozess gegen die Stadt  Rheinbach, die eine fällige Zahlung in   Höhe von 15000 Mark  verweigerte, weil die Arbeiten sich zu lange hinstreckten und die Lage des Bahnhofs    nicht genehm sei. Dennoch, am 21. 4. fand die erste Probefahrt statt.

Am 15.5.1880 erfolgte dann die polizeiliche Abnahme der gesamten Eisenbahnstrecke, was der Lokalpresse allerdings nur wenige Zeilen wert war. Die Enttäuschung darüber, dass die "Sekundär-Linie" nur Bummelzüge berücksichtige und der „Duft der großen, weiten Welt" verschwunden war, hatte viele ernüchtert.

Wenige Wochen vor der offiziellen Einweihung gab es zudem noch auf dem Euskirchener Bahnhof ein Unglück, da ein Rangier-Arbeiter von einer Lokomotive überfahren wurde. Der „Zülpicher Anzeiger" maulte, dass die beantragten „Vergnügungszüge" zwischen Kuchenheim und Euskirchen zur Kuchenheimer Kirmes hätten nicht stattfinden können, weil die Gleisarbeiten sich verzögert hätten.

Festessen

Endlich stand der genaue Termin für die feierliche Übergabe der Eisenbahnstrecke Euskirchen-Bonn fest: 1. Juni 1880. Und wieder gab es eine Panne. Ohne Angabe von Gründen verschob man den Termin auf den 7. Juni, das Datum, das heute im Jahre 1980 gefeiert wird!


Die Euskirchener Presse gibt wenig Aufschluss über die offiziellen Feierlichkeiten zur Eröffnung der Eisenbahnstrecke Euskirchen-Bonn. Es war inzwischen durchgesickert, dass die Prominenz unter sich gefeiert hatte. Anlässlich der landespolizeilichen Revision der Bahnstrecke am 15.5.1880 hatte der Zug gegen 10.30 Uhr den Euskirchener Bahnhof verlassen.


Zur Teilnahme hatten sich auf dem hiesigen Bahnhof die Vertreter der königlichen Direktion und der Regierung sowie der beteiligten Kreise und Gemeinden eingefunden. In Kuchenheim empfing der Notar Wagner „mit einer zu Herzen gehenden Ansprache" (Euskirchener Zeitung) die Ehrengäste. Meckenheim hatte ein opulentes Festessen veranstaltet, an dem etwa 50 Personen teilnahmen. Die anderen Bahnstationen hatten geflaggt.


Das Euskirchener Volksblatt schilderte die Jungfernfahrt vom 7. Juni 1880: „Es fuhr der erste Eisenbahnzug der neuen Strecke mit zahlreichen Passagieren von hier nach Bonn ab. Der erste Personenzug von Bonn nach hier war ebenfalls dicht besetzt. Der Zug von hier nach Bonn braucht anderthalb Stunden, was, da der Bahnbetrieb sekundär ist, allerdings seine Erklärung findet. Der voraussichtlich lebhafte Verkehr wird die Bahnverwaltung wohl veranlassen, später einen Vollbahnbetrieb einzuführen, so dass die Mehrkosten hierdurch gedeckt werden. Auf die Passagiere nach Düren, Aachen usw. ist beim Anschluss auf hiesiger Station fast gar keine Rücksicht genommen..."


Der erste Fahrplan der neuen Strecke sah täglich drei Zugpaare vor, morgens, mittags und abends. Sonntags wurde mittags ein Verstärkungszug eingelegt. Allgemeine Anerkennung fanden die modernen Bahnhöfe der neuen Strecke im Gegensatz zu den tristen Bahnhofsbauten auf der Kölner Linie.

90 Jahre Vollbahn

Dennoch haben Euskirchener und Bonner Grund genug, jetzt im Juni 1980 ein Jubiläum zu feiern. Wenn auch das 100jährige Bestehen der Bahnstrecke schon ausreicht, so kann ein 90jähriges Bestehen der „Vollbahn" angehängt werden. Am 1. Juni 1890 nämlich konnte die Lokalpresse ein Ereignis melden, das sie in heller Begeisterung als  „Markstein“ in der Entwicklung der Euskirchener Verkehrsverhältnisse pries. Die Erhebung der Strecke zur „Vollbahn“ bewirkte zunächst eine wesentliche Beschleunigung der Fahrzeit; sie wurde von 89 auf 66 Minuten vermindert. Es verkehrten täglich fünf Zugpaare. Witterschlick war inzwischen auch Station geworden.

 

kappesexpress

So sah die Bahnhofstraße 1880 aus. Im Hintergrund das Bahnhofsgebäude auf der Lithografie von Josef Leimann.

Nur 10 Jahre

Die Tatsache, dass der Sekundarbahn nur zehn Jahre beschieden war, verhinderte in Zukunft auch weitere Unfälle. Nur wenige Monate nach Eröffnung der Bonn-Euskirchener Strecke „sauste ein Omnibus" (von Pferden gezogener Personenwagen) bei dem Chaussee-Übergang am Hardtberg (bei Bonn) in die Eisenbahn. Alle 22 Bauern wurden verletzt.


Die Euskirchener Zeitung vom 11.9. 1880 fasste das Dilemma der Sekundärbahn lakonisch zusammen: „Zur Erklärung des Unfalls muss noch bemerkt werden, dass der betreffende Bahnübergang nicht durch Schlagbäume abgesperrt ist, weil die Strecke Bonn-Euskirchen'' bis jetzt noch Sekundär-Betrieb hat. Beim Passieren solcher Stellen fährt der Zug langsamer und macht sich von weitem durch starkes dauerndes Tüten bemerkbar."

Der Ofen stank

Besonders im Jahre 1906 fallen die vielen Leserbriefe auf, die sich mit dem Komfort der Bonn-Euskirchener Eisenbahn befassen. Etwa seit dieser Zeit existiert im Volksmund  der Begriff „Kappes-Express“ – zumindest kann man das vielen Briefen und Artikeln entnehmen.


Am Anfang des 20.Jahrhunderts ist auch in den Zeitungen von den schlecht gefederten Waggons der 4.Klasse die Rede und deren nächtlicher „Mondschein-Beleuchtung“. Am 24. 1. 1906 beklagte sich ein Fahrgast über das undichte Dach in der 3. Klasse, und am 16. 6. desselben Jahres ist in einem Leserbrief an die Euskirchener Zeitung von einem stinkenden Kohleofen und einer nicht schließenden Aborttüre im Zug Nr. 2160 die Rede.


Bei Eisenbahnfreunden werden Gefühle der Nostalgie und Romantik geweckt, wenn man Zeitungsbände des Euskirchener Stadtarchivs im Hinblick auf die Bonn-Euskirchener Eisenbahn durchblättert. Wie beruhigend muss es für noble Reisende gewesen sein, als am 12. Juli 1909 wieder die 1. Wagenklasse eingeführt wurde. Und wie enttäuscht war es wohl für einen Bonn-Euskirchener Casanova, als am 31.7.1909 publiziert wurde, dass für die „Unterbringung alleinreisender Frauen und Mädchen  besondere Bestimmungen getroffen worden sind, … diese in speziell eingerichteten Frauenabteilen unterzubringen.“

Rein ins Hotel

Besonders die neue Bonn-Euskirchener Bahnstrecke brachte Touristen in die Kreisstadt, und das Gaststätten- und Hotelgewerbe blühte auf. Unter diesem Gesichtspunkt muss jedoch auch der sorgenschwere Brief von August Herder, Besitzer der Euskirchener Eiweißfabrik, betrachtet werden, den dieser am 15.10.1902 an den Euskirchener Bürgermeister Selbach schickte: „...Auf Grund einer polizeilichen Anordnung haben die zum Empfang von Reisenden am Bahnhof wartenden Hotelbediensteten sich so aufzustellen, dass sie, unmittelbar an dem Ausgang des Bahnhofs sich anschließend, eine bis in die Mitte der Bahnhofstraße reichende feste Kette bilden.“ Fabrikant Herder monierte nun, dass jeder Ankommende  gezwungen ist, die ganze Front der Leute abzuschreiten, ob er nun in ein Hotel aufzusuchen gedenkt oder nicht.     

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