Kriegsweihnacht 1944 in Euskirchen: Die Botschaft von Kaplan Kellermann

von Hans-Dieter Arntz
(Auszug aus dem Buch von Hans-Dieter Arntz KRIEGSENDE – Durch die Voreifel zum Rhein,
Helios-Verlag Aachen, 2007, S. 92/93)
21.12.2007

Euskirchen: Weihnachtsbrief 1944 von Kaplan Kellermann

Das Weihnachtsfest 1944 war charakterisiert durch Fliegeralarm und das Bersten detonierender Bomben. Eine Schilderung der Schrecken enthält ein Brief, den Theodor Kellermann (1911-1945), Kaplan an der Herz-Jesu-Kirche in Euskirchen, am Weihnachtstage an die evakuierten Pfarrangehörigen richtete. Sie erinnern an die Stunden der Angst und des Todes sowie die letzten Wochen der Kriegszeit. Wenige Wochen später, am 2. Februar 1945, wurde Kaplan Kellermann in Ausübung seiner priesterlichen Pflicht von Granatsplittern getroffen; am Abend des folgenden Tages erlag er seinen Verletzungen im Ausweichkrankenhaus auf Burg Kirspenich. Heute sind eine Realschule und eine Straße nach dem mutigen und opferbereiten Priester benannt.

Euskirchen, Weihnachtsmorgen, den 25. Dezember 1944

Meine lieben Pfarrkinder von Herz Jesu in Euskirchen!

Wenn ich mich heute am Morgen des 1. Weihnachtstages hinsetze, um Euch, die Ihr in der Ferne seid, zu schreiben, so veranlaßt mich ein doppelter Beweggrund dazu. Zunächst, es soll Euch zum Bewußtsein kommen, daß wir in der Heimat an Euch denken, genau so, wie Ihr gewiß oft mit Euren Gedanken hier bei uns in der Heimat seid. Als Kinder ein und derselben Pfarrfamilie gehören wir ja besonders innig zusammen. Ich habe in vielen Fällen miterlebt, wie schwer es Euch geworden ist, Eure Heimstätten zu verlassen, ohne vielfach zu wissen, wo Eure neue Bleibe sein würde.

Und glaubt es mir, Euren Seelsorgern ist es ans Herz gegangen, als sie sahen, wie eine Familie nach der anderen, ein Transport von Pfarrkindern nach dem anderen, von hier in die Ferne zog. Ihr könnt Euch lebhaft denken, daß unsere allerbesten Wünsche Euch begleiten. Ja, ich wünsche innig und hoffe fest, daß Ihr alle gut untergebracht seid und es Euch so ergehen möge wie Maria und Josef in der Herberge von Bethlehem.

kellermann

Doch mehr aber hoffe und wünsche ich, daß Ihr Euch alle als echte Christen in einem unbeirrbaren Gottvertrauen bewährt, in unwandelbarer Treue zu unserer hl. Mutter Kirche, Euren Mann steht. Daß Eure Seelsorger Eurer täglich im hl. Opfer gedenken, brauche ich wohl nicht eigens zu betonen.

Und jetzt der zweite Anlaß, der mich zum Schreiben bewegt. Wir alle hier stehen noch unter dem niederschmetternden Eindruck dessen, was wir gestern Nachmittag, am Vortage des hochheiligen Weihnachtsfestes erlebten. So etwas werden wir nie vergessen. Ja, es ist kaum zu fassen, unsere schöne Herz-Jesu-Kirche, die Gebets- und Opferstätte unserer Pfarrfamilie, ist ein Bild des Grauens geworden. Gestern morgen noch feierten wir dort wie gewöhnlich unsern Gottesdienst, gingen dort noch viele zur hl. Beichte und Kommunion, durfte ich in der hl. Messe um 7.15 Uhr noch auf der Kanzel stehen und eine kurze Predigt halten. Keiner von uns ahnte auch nur, daß diese Stätte des Friedens schon am Nachmittag eine Stätte grauenvoller Verwüstung sein würde. Aus den Fenstern der Herz-Jesu-Kirche schaut jetzt das kalte Grauen; nur noch die nackten Umfassungsmauern, der hölzerne Dachstuhl und der Turm sind erhalten, das ganze Gewölbe aber von der Apsis bis über der Orgelbühne ist eingestürzt, so daß die Bänke und die Kanzel darunter begraben sind und meterhoher Schutt die Kirche füllt. Für denjenigen, der mit der Herz-Jesu-Kirche verwachsen ist, ein Anblick, der ihm das Blut in den Adern stocken macht. Das alles war dieFolge eines Fliegerangriffs am Hl. Abend, wie ihn unser Städtchen bisher noch nicht erlebt hat. Die Kirche hat freilich, soweit ich feststellen konnte, keinen Treffer bekommen, aber sie wurde offenbar gewaltig erschüttert durch eine Reihe von Bomben, die ringsum fielen, die aber sonst kaum Schaden anrichteten. Auch durch das Kellerloch meines Hauses fiel eine Bombe, die aber zum Glück nicht explodierte, sonst wäre ich wohl nicht mehr unter den Lebenden, da ich mit meiner Haushälterin und zwei anderen fremden Personen, die sich von der Straße zu mir in den Keller flüchteten, nur etwa 2 bis 3 Meter davon ab stand. Nicht überall freilich ist es so gut ausgegangen. Zu unserem Leidwesen haben bei diesem Angriff wieder einige ihr Leben opfern müssen.

Das war also der Heilige Abend, wie wir ihn in diesem Jahre erlebten. Und heute am Weihnachtsmorgen weiltet Ihr gewiß mit Euren Gedanken in der Herz-Jesu-Kirche, tauchten sicher Erinnerungsbilder von ihrem herrlichen Weihnachtsgottesdienst in Euch auf, ohne daß ihr wußtet, wie schlicht und behelfsmäßig wir an diesem Weihnachtsmorgen in der Sakristei das hl. Meßopfer gefeiert haben, ein Weihnachten in Armut und Not, ähnlich wie damals, als das Christkind geboren wurde.

In wenigen Tagen beginnt ein neues Jahr. Möge es für uns alle ein gottgesegnetes sein. Möge es uns den Tag bringen, an dem Ihr alle in Eure Heimat zurückkehren könnt. Inzwischen aber wollen wir unaufhörlich füreinander beten, damit keiner von uns verloren gehe, sondern wir allselig werden.

Mit aufrichtigen Weihnachtsgrüßen an Euch alle

Euer Kaplan
Th. Kellermann

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