Rettung jüdischer Kinder durch den „Winton-Train“ und das englische Projekt „Refugee Children Movement“.
Das Beispiel der Johanna Zack aus Gemünd/Eifel

von Hans-Dieter Arntz
06.09.2009

Von pädagogischem Wert ist meiner Ansicht nach der Film „Alle meine Lieben“, der die Rettung jüdischer Kinder aus der Tschechoslowakei eindrucksvoll darstellt. An ihn wurde ich deswegen erinnert, weil zum Gedenken an eine berühmt gewordene Hilfsmaßnahme ein Sonderzug dieselbe Strecke von Prag über Köln nach London zurücklegte, die im Jahre 1939 der Weg in die Freiheit werden sollte. Unter dem Motto „Winton-Train – Die Inspiration des Guten“ erinnerte vor einigen Tagen der Sonderzug, mit einer Dampfmaschine und historischen Waggons, an den britischen Geschäftsmann Nicholas Winton, der aus eigener Initiative einen Weg sah, 669 jüdischen Kindern das Leben zu retten.

Mit Hilfe eines jungen Briten, der die Ausreise jüdischer Kinder nach England organisiert, kann der junge David Silberstein das Land verlassen. Sein Vater, Jakob Silberstein, muss für immer Abschied von seinem Kind nehmen, um wenigstens einem Mitglied der Familie das Überleben zu sichern. Der Film verbindet die fiktive Geschichte der Familie Silberstein mit der realen Figur des Briten Nicholas Winton, der 1939 in der Tschechoslowakei mehrere Sonderzüge organisierte und damit insgesamt 669 jüdischen Kindern die Flucht vor dem Terror der Nazis ermöglichte.

Ein Hinweis zum Film: Alle meine Lieben / Všichni moji blizci, Regie: Matej Minač, Slowakische Republik, Deutschland, Polen 1999, 94 min, 35 mm, Farbe. Er sollte im Unterricht eingesetzt werden, um die Problematik zu internalisieren!

Mein neues Buch ISIDORS BRIEFE. Über die Korrespondenz eines Juden aus Euskirchen, das Ende Oktober 2009 im Buchhandel erscheint, befasst sich in einem besonderen Artikel mit weiteren englischen Rettungsmaßnahmen, jüdische Kinder nach Großbritannien zu bringen. Zu diesen gehörte die aus Gemünd/Eifel stammende Johanna Zack.

Es sollte darauf hingewiesen werden, dass die Engländer 10.000 jüdische Kinder aufnahmen, zu denen auch das kleine Mädchen aus der Eifel gehörte. Besonders das Buch von Barry Turner Die Rettung der Kinder. Kindertransporte im Dritten Reich, Gießen 2003 gibt detailliert Aufschluss. Diese englische Rettungsmaßnahme wurde aufgrund einer Bitte des englischen Premierministers, Lord Baldwin, an seine Mitbürger möglich:

Ich bitte Euch, den Opfern dieser Katastrophe beizustehen, die keine Naturkatastrophe ist, kein Erdbeben und keine Überschwemmung, sondern eine Katastrophe vom Ausbruch von Unmenschlichkeit der Menschen gegen ihre Mitmenschen.

In diesem außergewöhnlichen Buch geht der englische Autor Barry Turner der Geschichte der Kindertransporte im Dritten Reich nach. Er skizziert die politische Vorgeschichte dieser denkwürdigen britischen Hilfsaktion und schildert die verzweifelte Suche nach dem Auswanderungsziel für die Kinder jüdischer Kinder, die in Nazi-Deutschland keine Zukunft mehr haben.

 

Hanna Miley

 

Etwa 10.000 Jungen und Mädchen zwischen fünf und fünfzehn Jahren wurden durch die Hilfsbereitschaft von opferbereiten Engländern und durch jüdische Hilfsorganisationen vor dem sicheren Tod gerettet. Die meisten dieser Kinder sahen ihre deutschen Familien, von denen sie plötzlich und oft unerwartet schnell getrennt wurden, nie wieder. Zu diesen Kinder zählte auch die damals 6jährige Johanna Zack (heute verh. Miley), die mit ihren Eltern in Gemünd/Eifel lebte. Sie wurde 1932 geboren und durfte nach ihrer Einschulung nur noch bis zum „Novemberpogrom“ das 1. Schuljahr der evangelischen Volksschule in Gemünd besuchen. Kurz danach verzog sie mit ihren Eltern im Jahre 1939 nach Köln, Horst-Wessel-Platz 12. Trotz der besorgten Mutter setzte ihr Vater es durch, dass das einige Tage vorher am Blinddarm operierte Kind am 25. Juli 1939 mit einem jüdischen Kindertransport nach England „verschickt“ wurde. Das britische Projekt Refugee Children Movement rettete ihr Leben. Johanna sah ihre Eltern nie wieder.

Dieser Kindertransport in der Zeit zwischen Ende November 1938 bis zum 1. September 1939 betraf etwa 10.000 Kinder, die im Sinne der Nürnberger Gesetze jüdisch waren und als gefährdet galten. Auf diesem Wege gelangten vor allem Kinder aus Deutschland, Österreich, Polen und der Tschechoslowakei ins Exil. In Zügen und mit Schiffen konnten die Kinder ausreisen, wobei die meisten ihre Eltern nie wieder sahen. Oftmals waren sie die einzigen aus ihren Familien, die den Holocaust überlebten. Das Rote Kreuz betreute auch Hannelore Zack, das kranke jüdische Mädchen aus Gemünd auf der Fahrt von Köln nach Hoek van Holland, dann nach Harwich und London, wo man im Liverpool Street Station ankam. Ihre Kindheit in Coventry (!) und die Zerstörung der Stadt durch die deutsche Luftwaffe wird sie als Schock empfunden haben.

Am 22./23. November 2008 nahm Hanna Miley an einer der regelmäßigen Wiedersehensfeiern in London teil. Das Buch ISIDORS BRIEFE berichtet über dieses Erlebnis. Während man sich am 22. November abends an der berühmten Statue am Liverpool Street Bahnhof versammelte und in einer eindrucksvollen Veranstaltung der damaligen Rettung vieler jüdischer Kinder gedachte, bildete am 23. November der Empfang durch Prinz Charles in der Jewish Free School, Harrow, Middlesex, den Höhepunkt der Reise. Der Sohn der englischen Königin konnte 560 „gerettete jüdische Kinder“ willkommen heißen und nahm sich auch die Zeit, mit vielen von ihnen über die damaligen Ereignisse von 1938/39 zu sprechen. Die jüdischen Gäste überreichten ihm eine Replik der berühmten „Kindertransport-Statue“ vom Liverpool Street Bahnhof. Hanna Miley (Hannelore Zack), die mit ihrem Ehemann George seit Jahrzehnten in einer philanthropischen Organisation tätig ist, schreibt zurzeit über ihr Schicksal ein Buch, das im Herbst 2009 im Hässler-Verlag erscheinen soll.

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Einst gemeinsam in der jüdischen Volksschule von Kall (Eifel): Ein bewegendes Wiedersehen nach 70 Jahren

ARNTZ, Hans-Dieter, ISIDORS BRIEFE. Über die Korrespondenz eines Juden aus Euskirchen Helios Verlag Aachen 2009, (ISBN 978-3-86933-007-5), erscheint Ende Oktober 2009.

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