WOCHENSPIEGEL-SERIE von Regionalhistoriker Hans-Dieter Arntz:

„REICHSKRISTALLNACHT“ im Altkreis Schleiden (Nr. 4 von 5)

Wochenspiegel Serie

Teil 4 vom 29. Oktober 2008: „Hellenthat und Blumenthal“

Hellenthal und Blumenthal

 

Anfang September 2008 überließ Egon Fromm dem Verfasser des neu erschie­nenen Buches Reichskristallnacht ein Familienbild aus dem Jahr 1936, das die jüdischen Angehörigen der Familien Heumann, Katz, Rothschild und Fromm aus Hellenthal zeigt.

Samuel Heumann, der 1858 in Hellenthal geboren wurde, feierte 1936 hier zum letzten Mal mit allen Angehörigen seinen Geburtstag. Nach der »Reichskristallnacht« verließ er seine Heimat, flüchtete in die Niederlande und kam am 1. Mai 1943 im Lager Westerbork um. Seine Tochter Karola verh. Fromm besaß mit ihrem Ehemann das große »Euskirchener Strumpf- und Trikotagen­haus« (E.S.T.) auf der Wilhelmstraße/Ecke Neustraße, zog sich aber mit ihrer Familie zwei Wochen vor dem Novemberpogrom zu ihren Eltern nach Hellenthal zurück, nachdem das Geschäft zwangsarisiert worden war. Sie ahnten nicht, dass der rassistische NS-Terror im abgelegenen Hellenthaler Tal noch schlimmer wütete als woanders im Voreifel- und Eifelgebiet. Einige der auf dem Foto gezeigten Personen können es noch heute bezeugen.

 

Artikel Mechernich

 

Die Urteilsfindung im Hellenthaler »Synagogenprozess« wirkte makaber; zumindest belegen das die fielen Gerichtsakten. Auch die seitenlangen Zeitungs­berichte   aus   den   Jahren 1952-1954, die teilweise wortgetreu die belastenden Zeugenaussagen der Verfahren in den verschiedenen Instanzen wiedergeben, las­sen heute vieles in einem an­deren Licht erscheinen.

Die angeklagten Haupttä­ter wurden nach mehreren Instanzen, die erst beim Bundesgerichtshof endeten, teilweise freigesprochen. Es wurde ermittelt gegen einen fanatischen Ortsgruppen­leiter, einen offenbar irre­geführten Fabrikanten und einen vergesslichen Feuer­wehrmann. Sie sollten of­fenbar Schuld am Brand der Synagoge von Blumenthal haben. Bis zum Jahre 1954 erlebte die Eifelbevölkerung ein Schmierentheater, in dem die Belastbarkeit der Zeu­gen und das deutsche Recht strapaziert wurden. Auf­grund der Einsprüche gegen mehrere Gefängnisstrafen wurde ganz am Schluss nur noch der damalige Amtsbür­germeister F(...) wegen Bei­hilfe zur Brandstiftung und wegen Freiheitsberaubung im Amt zu einer Gefängnis­strafe von insgesamt einem Jahr verurteilt.

Kernpunkte der Verhand­lungen waren der »Blumenthaler Synagogenbrand« sowie der sogenannte »Pran­germarsch«, der am Tage nach der »Kristallnacht« von Hellenthal nach Blumenthal durchgeführt wurde. Damals waren mindestens 15 jü­dische Bürger verhaftet und im Triumph durch die Orte geführt worden.

Einen besonderen Stellen­wert hätte die Aussage des jüdischen Metzgers Karl Haas haben können, der als Augenzeuge vieles mitbe­kommen hatte und sein Wis­sen nach dem Kriege einer gerechten Justiz mitzuteilen bereit war. Aber auch diese wurde schließlich nicht zur Kenntnis genommen. Seine eidesstattliche Aussage vom 17. November 1949 lautete jedoch u.a.:

(...) Am Morgen des No­vember 1938, als die Syna­goge in Blumenthal ange­zündet wurde, erschien der Arno Rothschild an unserer Türe und teilte uns mit, dass die Synagoge brenne. Er bemerkte, er sei in der Syna­goge gewesen. Dort sei der Bürgermeister F(...), der SS-Mann Schw(...) und die Sch(...)- Jungen gewesen. So­bald man ihn gesehen habe, sei hinter ihm her geschos­sen worden. Wer nach ihm geschossen hatte, konnte er nicht angeben (...). Roth­schild bat um Rat, was er tun solle. Da wir der Meinung waren, dass nachher wieder behauptet würde, Rothschild habe geschossen, haben wir ihm geraten, nach Belgien zu gehen. Rothschild hat dann bei uns Kaffee getrunken und dann Deutschland ver­lassen.

Mehrere Juden, die einst in Hellenthal gelebt und den Holocaust überlebt hatten, waren aus den Niederlan­den, USA und Belgien angereist, um die Verbrechen anlässlich des November­pogroms 1938 in Hellenthal/ Blumenthal zu bezeugen. Der Hauptzeuge Karl Haas ergänzte: »Noch am gleichen Morgen wurde nach Arno Rothschild bei uns gesucht. Im Laufe des Morgens am gleichen Tage erschien der Landjäger F(...) bei uns und teilte uns mit, dass wir in der Zeit von 10 bis 1 Uhr das Haus nicht verlassen dürften.

Gegen Mittag wurden mein Bruder Emil und ich ebenfalls von F(...) in Begleitung des Sch(...) ab­geholt und vor das frühere Gesellschaftshaus   das   damalige 'Braune Haus' ge­bracht. Dort wurden wir ge­sammelt, bis alle Juden aus Blumenthal und Hellenthal zusammen waren. Anschlie­ßend wurden wir durch Hel­lenthal und Blumenthal zu der noch brennenden Syna­goge geführt. Diesen Aufzug leitete der Ortsbürgermei­ster F(...). Da waren noch u.a. der SS-Mann Schw(...), A(...)Sch(...),D (...)Sch(...) und, soweit ich mich zu ent­sinnen glaube, der Sohn des Notars Z(...) aus Gemünd.

In diesem Aufzuge war ein alter Mann namens Salomon Kaufmann, der sehr schlecht gehen konnte. Da wir im Gleichschritt gehen muss­ten, konnte Kaufmann die­sen nicht beihalten. Er blieb zurück und wurde daraufhin mehrere Male mit Fußtritten bedacht. Dabei schrie er laut auf. Dies habe ich selbst gesehen! Ich kann jedoch nicht sagen, wer Kaufmann getreten hat, da außer den vorgenannten Personen noch eine ganze Reihe von SS-Leuten den Aufzug he­rumschwirrten, die jedoch nicht aus Hellenthal waren. An der Synagoge wurden wir um das schwelende Gebäude herumgeführt und dann zum Bürgermeisteramt gebracht. Hier mussten wir uns aufstel­len und wurden fotografiert.

Vor dem Bürgermeisteramt tat sich ein Feldmeister mit Namen H(...) aus dem Ar­beitsdienstlager Blumenthal ganz besonders hervor. Vor dem Bürgermeisteramt stand nämlich eine Fahnen­stange. H(...) erklärte, einer von uns müsse oben an der Fahnenstange aufgeknüpft werden und die anderen der Reihe nach darunter gehängt werden.

Wie unbegreiflich für manchen die Urteilsfindung wirkte, möge aus den Gerichtsunterlagen zu ent­nehmen sein, die der Autor zum großen Teil schon 1990 in seinem Dokumentationsband Judenverfolgung und Fluchthilfe im deutsch-belgischen Grenzgebiet, aber auch neulich wieder in seinem Buch Reichskristallnacht publiziert hat. Sym­ptomatisch ist zum Beispiel eine richterliche Formulie­rung in der Urteilsbegründung:

Zwar hat der Zeuge eindeutig den S(...) in der Synagoge gesehen, wie er die Benzinkanister entleerte, doch ist das nur subjektiv. Heute trägt er eine Brille; somit kann vermutet werden, dass er im Jahre 1938 sicher auch schon schiecht sehen konnte...

LINKS
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JUDAICA – Juden in der Voreifel, Euskirchen 1983 (3. Aufl. 1986)

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JUDENVERFOLGUNG und FLUCHTHILFE im deutsch-belgischen Grenzgebiet, Euskirchen 1990 (Dokumentationsband mit 810 Seiten  und 550 Fotos)

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„REICHSKRISTALLNACHT“ – Der Novemberpogrom 1938 auf dem Lande, Aachen 2008

„Reichskristallnacht“ im Altkreis Schleiden

josef weiss

Teil 1: Mechernich und Kommern

Teil 2: Das Amt Kall

Teil 3: Gemünd, 9./10. November 1938

Teil 4: Hellenthal und Blumenthal

Teil 5: Erinnerung an die „Reichskristallnacht“ im Altkreis Schleiden

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